Kleine Bauanleitung: So bastele ich mir eine Diktatur.

Vorsicht! Satire! (Leider nah an der Wirklichkeit.)

Es ist ziemlich schwierig, Diktator eines Staates zu werden. Fangen Sie besser überschaubar an: Werden Sie Bürgermeister einer kleinen Stadt!
Vorbereitung:
Treten Sie in eine große Partei ein. Suchen Sie sich ein wichtiges Partei­mit­glied, das Sie fördert. Sagen Sie nie, woran Sie gerade basteln. Machen Sie sich immer wieder klar, dass Sie Großes vorhaben. Wo gehobelt wird, fallen Späne. Die Wichtigkeit Ihres Vorhabens rechtfertigt Opfer bei den anderen.
1. Bauphase:
Suchen Sie eine Stadt, in der Ihre Partei die Mehrheit hat. Kandidieren Sie dort. Seien Sie dynamisch. Achten Sie auf Ihr Äußeres. Üben Sie Ihr Lächeln. Zeigen Sie Ihrem jeweiligen Gesprächspartner, dass sie beide wichtig sind. Gemeinsam werden Sie das Städtchen erneuern. Vertrauen Sie niemanden!
2. Bauphase:
Nachdem Sie Bürgermeister geworden sind, eröffnen Sie Bürgerprojektgruppen. Das ist medienwirksam, alle werden Sie lieben. Egal, wenn die Gruppen ergebnis­los bleiben: Die Presse berichtet über den Beginn einer Gruppe, nicht über das trau­rige Ende. Projektgruppen und auch Mottojahre sind gut für Sie: Alle freuen sich über Ihre Bürgernähe, die Arbeit machen andere, Sie ernten eventuelle Früchte. Merke: Diktator wird man nur, wenn man sich bei den Bürgern beliebt macht und die politischen Strukturen schwächt. Zeigen Sie den Bürgern, dass so eine Projekt­gruppe mehr für die Stadt tut als ein städtischer Ausschuss. Das ist zwar nicht vergleichbar, aber das merkt ja keiner.
3. Bauphase:
Schauen Sie sich Ihre Mitarbeiter genau an. Stellen Sie klarer als klar, dass Sie das Sagen haben. Ideen anderer dulden Sie nur, wenn Sie sie als Ihre eigenen verkaufen können. Kompetente (=gefährliche!) Mitarbeiter werden sich bald einen anderen Job suchen. Versetzen Sie Mitarbeiter, die unzuverlässig sein könnten. Versetzen Sie sie nochmal. Schlecht eingearbeitet, machen sie irgendwann grobe Fehler. Dann haben Sie sie in der Hand.
4. Bauphase:
Legen Sie Ratsausschüsse so zusam­men, dass die Damen und Herren Freizeitpolitiker möglichst wenig Kompetenz einbringen. Fehlende Kontrolle macht es Ihnen leichter, Ihr großes Ziel zu verwirklichen.
Das hat nicht geklappt? Dann heulen Sie bei Presse und Fernsehen: “Der Rat verbietet mir das Sparen!” Das kommt gut an. Rechnen Sie großzügig, kein normaler Bürger prüft das nach. Denen ist eh klar, dass Parteien das Geld aus dem Fenster schmeißen.
5. Bauphase:
Geben Sie nur noch die Informationen, die Ihnen nützen. Lästige Anfragen ignorieren Sie. Seien Sie kreativ in der Auslegung von Geschäfts­ordnungen. So enden die Sitzungen zuneh­mend im Chaos. Schuld sind natürlich die kleinlichen Damen und Herren im Rat. Ziehen Sie die Schrauben langsam an, alle mit dem Ziel, den Rat handlungsunfähig zu machen. Sie werden erstaunt sein, wie viele Rechts­brüche Sie sich ungestraft leisten können.
6. Bauphase:
Der Rat wehrt sich? Landrat, Regierungspräsident, Minister fallen Ihnen in den Rücken? Halten Sie durch, Sie haben es fast geschafft! Sie sind im Recht. Sie sind das Recht! Greifen Sie an! Beschuldigen Sie andere! Stellen Sie Strafanzeigen. Suchen Sie Anschuldigungen, die schwer widerlegbar sind. Denken Sie daran: Wo Rauch ist, muss auch Feuer sein. Sorgen Sie für genügend Rauch, das andere gibt sich. Die Bürger werden es Ihnen danken, dass Sie sich so einsetzen und den politischen Sumpf austrocknen. Sie kämpfen für das Wohl Ihres Städtchens! Die Parteien jaulen auf? Gut! So verschießen die ihr Pulver zu einer Zeit, wo es Ihnen nicht schadet.
7. Bauphase:
Bald kommt die Bürgermeisterwahl. Die müssen Sie noch gewinnen, dann haben Sie’s geschafft. Ihre Partei stellt Sie nach all den Querelen natürlich nicht mehr auf. Das gefährdet Ihre Wiederwahl massiv. Lösung: Treiben Sie es auf die Spitze! Provozieren Sie die Abwahl! Sie haben genügend Bürger hinter sich, und die Parteien haben bei all dem Klein-Klein längst an Ansehen verloren. Da liegt Ihre Chance! Schließlich sitzen Sie im Rathaus. Sammeln Sie rechtzeitig Dossiers über Ihre Gegner. Lancieren Sie Geschichten, die glaubhaft klingen. Die Leute haben die Schnauze voll von all dem Gezänk: Liefern Sie ihnen Schuldige aus. Machen Sie sie zum Gespött der Straße. Stilisieren Sie sich als Retter: Sie haben sich mit dem ganzen Filz angelegt, haben gegen Seilschaften gekämpft und Ihr Städtchen über Wasser gehalten in dieser schweren Zeit. Appellieren Sie an die Wähler: Dieser Erfolg muss gesichert werden!
8. Bauphase:
a) Sie haben es geschafft! Etliche Ratsmitglieder verzichten frustriert auf ihre Ämter, und die Neulinge schaffen Sie doch mit links. Kritische Geister in der Stadtverwaltung suchen spätestens jetzt hastig nach neuen Jobs. Opposition gibt’s nur noch im Karneval. Lachen Sie mit, entspannen Sie sich. Sie sind am Ziel. Es ist schön, Bürgermeister einer Stadt zu sein, die so geschlossen hinter einem steht.
b) Sie sind abgewählt? Uups. Nun ja, verlassen Sie die Stadt mit einem Knalleffekt. Bewerben Sie sich in einer anderen Stadt, wo gerade ein Nachfolger gesucht wird. Verweisen Sie auf Ihr unaufhörliches Engagement gegen politisch-mafiöse Zustände. Das klappt nicht? Dann denken Sie an Ihre nette Bürgermeisterpension und machen eine Politikberatungsfirma auf. Auch andere wollen noch Diktator werden.

Martin Herwartz

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